Frauen und Männer reagieren oft anders auf Krankheiten. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede sind jedoch nach wie vor nur wenig erforscht. Hier setzt die internationale Nichtregierungsorganisation Women’s Brain Project mit Sitz in der Schweiz an: Sie vernetzt Akteur:innen aus Medizin, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, um die Gendermedizin im Bereich der Nervenkrankheiten voranzutreiben. Das Ziel: die Gründung eines entsprechenden Forschungsinstituts.
Alzheimer ist eine Frauenkrankheit: Zwei Drittel der Betroffenen sind weiblich. Über die Gründe gibt es wenig Gesichertes, aber viele Vermutungen: Hormone spielen wohl eine Rolle, ebenso das Schlafverhalten und die Lebenserwartung. Im Gegenzug erkranken etwa doppelt so viele Männer an Parkinson. Aber nicht nur bei Erkrankungen des Gehirns, sondern bei fast allen Krankheiten gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Das ist mittlerweile zwar bekannt. Aber noch immer wird das Geschlecht in den klinischen Forschung zu wenig berücksichtigt. Das fange schon in der vorklinischen Phase an, wo die Versuchstiere meist männlich seien, sofern ihr Geschlecht in den Studien überhaupt genannt werde, sagte die Ärztin und Neurowissenschaftlerin Antonella Santuccione Chadha kürzlich in einem Interview gegenüber der Schweizerischen Ärztezeitung. Auch in den späteren Phasen klinischer Studien sind weibliche Versuchspersonen untervertreten — selbst dann, wenn es um Krankheiten wie Alzheimer geht, von der Frauen mehr betroffen sind.
Geschlecht und Gender einbeziehen
Antonella Santuccione Chadha gehört zu den Gründerinnen von Women’s Brain Project (WBP), einer internationalen Nichtregierungsorganisation mit Sitz im Kanton Thurgau, die den Einfluss von Geschlecht und Gender auf Gehirnerkrankungen erforscht und dafür verschiedene Stakeholder vernetzt. «Unsere Mission besteht darin, die Entwicklung von Medikamenten und medizinischen Behandlungen durch die Faktoren Geschlecht und Gender zu transformieren, als Zugang zu einer Präzisionsmedizin und ‑pflege, die den einzelnen Patienten zugeschnitten ist», sagt WBP-Präsident Matthias Burkhalter. «Wir tun dies, indem wir Forschungsprojekte durchführen, mit Industriepartnern zusammenarbeiten, mit Regulierungsbehörden, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sowie Wissenschaftlern in Kontakt treten und schliesslich neue Technologien zu entwickeln, um neue Behandlungsoptionen für Patienten und Pflegepersonen zugänglich zu machen.» Der Fokus von WBP liegt dabei auf der Erforschung von Gender- und Geschlechtsunterschieden bei Hirnerkrankungen sowie psychischen Erkrankungen.
Erstes Forschungsinstitut für Gendermedizin
Women’s Brain Project wurde 2017 gegründet und verfügt heute über rund 30 Kernmitarbeitende, ist weltweit in über 40 Kooperationen involviert und hat zahlreiche Forschungen ermöglicht und publiziert. Zudem organisiert WBP regelmässig öffentliche Veranstaltungen wie das International Forum on Women’s Brain an Mental Health, das im nächsten Jahr zum vierten Mal stattfinden wird; am kommenden WEF in Davos wird WBP zudem erstmals mit einem «Brain Health House» vor Ort sein. Aktuell steht die Organisation vor einem Meilenstein in ihrer Geschichte: Sie wird derzeit in eine Stiftung überführt, deren Ziel es ist, das erste Forschungsinstitut für Geschlechter- und Gendermedizin in der Schweiz zu führen. Das «Research Institute for Sex an Gender Precision Medicine» soll am Standort Basel und in Zusammenarbeit mit der Universität Basel entstehen.
Women’s Brain Project
Women’s Brain Project ist eine international tätige gemeinnützige Organisation, die die geschlechtsspezifischen Unterschiede von Krankheiten erforscht. Durch das Sammeln von Forschungsdaten und dem Einsatz von neuen Technologien wie KI setzt sie sich für eine präzise Medizin ein, die Faktoren wie Geschlecht und Gender der Patienten stärker berücksichtigt. Im WBP arbeiten Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen zusammen. Finanziert wird die Organisation von Gönner:innen, Kooperationen und Mitgliederbeiträgen.